Leider keine Seltenheit: die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Laut einer Statistik der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 haben mehr als 50 % aller Befragten in Deutschland einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Die Mehrheit der Opfer sind Frauen, doch auch Männer können betroffen sein. Wenn Sie solche Erlebnisse an Ihrem Arbeitsplatz erleiden müssen, stehen Sie nicht allein da. In diesem Artikel zeigen wir Ihnen Wege auf, wie Sie sich zur Wehr setzen können.
Inhalt
Kompaktwissen: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann in vielen Varianten auftreten. Grob lassen sich drei Formen unterschreiben: die verbale, die nonverbale und die physische Form. Die verbale sexuelle Belästigung äußert sich etwa in anzüglichen Aussagen. Die nonverbale Form beinhaltet z.B. das Zusenden unangemessener Nachrichten. Die physische Form der Belästigung fängt bei ungewollten Berührungen an. Mehr dazu finden Sie an dieser Stelle.
Der Arbeitgeber ist per Gesetz verpflichtet, Ihrer Beschwerde nachzugehen und dafür zu sorgen, dass die Belästigung aufhört. Dazu kann zunächst ein Mitarbeitergespräch mit dem Täter geführt werden. Anschließend bekommt dieser eine Abmahnung. Wenn das unangemessene Verhalten nicht aufhört, kann der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung aussprechen.
Zunächst sollten Sie, wenn möglich, den Betreffenden direkt ansprechen und deutlich zu verstehen geben, dass das Verhalten aufhören muss. Bringt das keine Abhilfe, machen Sie von Ihrem Beschwerderecht Gebrauch und wenden Sie sich an Ihren Vorgesetzten oder den Betriebsrat. Wenn danach noch immer keine deutliche Besserung eingetreten ist, haben Sie ein Leistungsverweigerungsrecht. Mehr dazu lesen Sie hier.
Definition: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Wann sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beginnt, ist schwer zu definieren. Das persönliche Empfinden ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Was einige als harmlosen Witz oder Flirtversuch werten, ist für andere bereits eine Grenzüberschreitung. Ab wann sich jemand belästigt fühlen “darf” ist daher nicht definierbar. Persönliche Grenzen sind in jedem Fall zu respektieren. Viele Betroffene schweigen über ihre Erlebnisse. Sie befürchten, als überempfindlich zu gelten oder Nachteile für den weiteren Karriereweg in Kauf nehmen zu müssen. Dasselbe gilt auch für Mobbing am Arbeitsplatz.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) liefert in § 3 Absatz 4 AGG für sexuelle Belästigung (am Arbeitsplatz) folgende Definition:
“Eine sexuelle Belästigung ist […] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, [das] bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“
Damit es sich um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz per Gesetz handelt, ist die Unerwünschtheit der Handlungen beim Betroffenen entscheidend. Fakt ist: Jede Form der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist verboten! Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein sicheres Umfeld für die Arbeitnehmer zu schaffen. Werden Sie Opfer einer solchen Belästigung, müssen Sie diese in keinem Fall tolerieren.
Betroffene sind mit großer Mehrheit Frauen
Eine überwältigende Mehrheit aller betroffenen Beschäftigten sind Frauen. Das macht eine Untersuchung deutlich, in der mehr als 700 Urteile über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ausgewertet wurden. Zwischen 1980 und 2014 handelte es sich immer um weibliche Opfer, mit Ausnahme von 25 Fällen. Betroffene Männer sind statistisch deutlich in der Unterzahl.
Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ergab außerdem, dass besonders junge Frauen gefährdet sind, die sich im Ausbildungsverhältnis befinden und/oder in einer männlich dominierten Branche arbeiten.
Bei sexueller Belästigung ist nicht immer das sexuelle Interesse des Täters am Opfer die Ursache. Es kann auch der Versuch der Ausübung von Macht sein. Am Arbeitsplatz nutzen Täter das Machtgefälle aus. Doch auch auf der gleichen Hierarchiestufe kommt es zu derartigen Belästigungen.
Mangelnder Respekt vor allem gegenüber Frauen in Führungspositionen oder die Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Beschäftigten und den Vorgesetzten können die Ausgangslage für sexuelle Belästigung auf der Arbeit sein.
Es kann auch zur Androhung von beruflichen Nachteilen kommen, wenn die sexuelle Handlung von Betroffenen nicht hingenommen oder erwidert wird. Die Betroffenen stehen unter enormem psychischen Druck und sehen sich wiederholt erniedrigenden und beschämenden Situationen ausgeliefert.
Welche Formen sexueller Belästigung gibt es?
Was zählt zur sexuellen Belästigung? Für eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nennen wir einige Beispiele, doch diese Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Belästigung kann in vielen Formen auftreten.
Bei der verbalen Form handelt es sich etwa um anzügliche Bemerkungen, zweideutige Kommentare, aufdringliche Einladungen, unangemessene Fragen zum Privatleben oder ganz direkte Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.
Zu den nonverbalen Formen der sexuellen Belästigung gehört das durchdringende Anstarren des Körpers, das Zusenden unerwünschter Nachrichten und anzüglicher Fotos, das Hinterherpfeifen und herabwürdigende Gesten.
Bei der physischen Form der Belästigung kann es zu Berührungen kommen, die der Täter beiläufig erscheinen lässt. Der Täter übt körperliche Annäherungsversuche aus, etwa durch das Aufdrängen von Umarmungen bis hin zur sexuellen Gewalt.
Die Forderungen müssen nicht immer mit körperlicher Gewalt durchgesetzt worden sein; die bloße Androhung von Gewalt oder die Befürchtung beruflicher Nachteile reicht aus, um einen vermeintlichen Zwang beim Opfer auszulösen.
Täter schaffen mit ihren Handlungen am Arbeitsplatz ein Klima der Unsicherheit, das beim Opfer ein Gefühl der Ausweglosigkeit erzeugt. Geschehen Berührungen auf vermeintlich beiläufige Weise, können Opfer dazu neigen, sich einzureden, dass sie sich die Vorfälle einbilden.
Versuchen Sie nicht, die Situation neu zu interpretieren, sondern hören Sie auf Ihr Bauchgefühl. Wenn eine Handlung eines Kollegen Sie beschämt oder sonstige unangenehme Gefühle bei Ihnen auslöst, liegt der Fehler nicht bei Ihnen. Eine angemessene Verhaltensweise Ihnen gegenüber wird solche negativen Empfindungen nicht auslösen.
Alle aufgeführten Formen der sexuellen Belästigung sind am Arbeitsplatz verboten und strafbar. Dabei ist es unerheblich, ob sich diese Vorfälle an der Arbeitsstelle selbst, auf dem Weg dorthin, auf einer Firmenfeier oder einer Dienstreise zugetragen haben. Es gibt einen Unterschied zwischen Privatleben und Arbeitsalltag. Während das anzügliche Anstarren im Bus oder im Supermarkt nicht strafbar ist, ist im Arbeitsumfeld das Gegenteil der Fall.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hat Folgen
Betroffene können dazu neigen, die Schuld bei sich zu suchen. Verschlimmert wird dies, wenn Betroffene die Belästigungen zur Sprache bringen und nicht ernst genommen werden. Im schlimmsten Fall wird ihnen unterstellt, alles falsch verstanden zu haben und üble Nachrede zu betreiben. Sie können sich vom Rest des Kollegiums isoliert fühlen.
Das sogenannte “victim-blaming” kann sein Übriges tun. Auch Täter-Opfer-Umkehr genannt, wird bei diesem Phänomen die Schuld beim Opfer gesucht und so das Verhalten des Täters gerechtfertigt. Das Opfer habe eine zu enge Jeans getragen, bei der Weihnachtsfeier zu tief ins Glas geschaut oder dem Täter aufreizende Blicke zugeworfen – diese Argumentationen verschärfen das Gefühl von Scham und Schuld beim Opfer zusätzlich und sind völlig fehl am Platz.
Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nehmen die Geschehnisse mit nach Hause. Die Folgen können u.a. Schlaflosigkeit, Angstzustände, Wut, Magenprobleme und Appetitverlust, Ekelgefühle und Hilflosigkeit sein. Die Situation kann zu erheblichen Belastungen im Privatleben führen.
Nicht selten führt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zur Kündigung, weil Betroffene keinen anderen Ausweg sehen. Doch auch an der neuen Arbeitsstelle können die vergangenen Erlebnisse für seelische Belastungen sorgen. Es ist daher für die psychische Gesundheit der Opfer wichtig, sich gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zur Wehr zu setzen, selbst wenn trotzdem ein anschließender Wechsel der Arbeitsstelle vollzogen werden muss.
Eine falsche Beschuldigung über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann für den Beschuldigten hingegen weitreichende Folgen haben. Oft liegt eine “Aussage-gegen-Aussage”-Situation vor, sodass sich Betroffene nie ganz vom Anfangsverdacht befreien können, selbst wenn die Unschuld im Nachhinein bewiesen wurde.
Was können Sie tun, um sich zu wehren?
Kommt es zu einer sexuellen Belästigung, sind viele Opfer zunächst überfordert. Das Gefühl der Angst und Ohnmacht dominiert. Eine schlagfertige Antwort haben nur die wenigsten schnell parat. Doch aus der Situation zu flüchten oder zu überspielen, kann vom Täter als Erfolg gewertet werden.
Auch, wenn es Überwindung kostet: Sprechen Sie den Täter in der Situation direkt an. Sprechen Sie laut und deutlich, so, dass andere Kollegen Sie hören können. Formulieren Sie keine freundliche Bitte, das Verhalten zu unterlassen, und lassen Sie sich auf keine Diskussion ein.
Mit deutlichen, kurzen Sätzen formulieren Sie stattdessen eine Aussage, aus der hervorgeht, dass das Verhalten unangemessen ist und bei Ihnen keinen Platz hat. Werden Sie konkret: “Ich möchte nicht angefasst werden” oder “Ich dulde Ihr übergriffiges Verhalten nicht. Hören Sie auf.” Mit einer souveränen Ansage können Sie sich Respekt verschaffen.
Hören die Belästigungen trotzdem nicht auf, machen Sie von Ihrem Beschwerderecht nach § 13 AGG Gebrauch und wenden Sie sich an den Vorgesetzten des Täters oder an den Betriebsrat des Unternehmens. Auch Gleichstellungsbeauftragte sind passende Ansprechpartner.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ruft die Pflichten der Arbeitgeber auf den Plan. Sie sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass das belästigende Verhalten aufhört. Der Arbeitgeber darf Ihnen außerdem keine Abmahnung oder Kündigung aussprechen, um Sie zum Schweigen zu bringen.
Wenn sie dennoch untätig bleiben oder die Maßnahmen keine Abhilfe schaffen, können Sie von Ihrem Leistungsverweigerungsrecht nach §14 AGG Gebrauch machen. Das bewirkt, dass Sie der Arbeit fernbleiben können und weiterhin bezahlt werden, bis Sie keine Belästigungen am Arbeitsplatz mehr zu befürchten haben.
Kommt der Arbeitgeber seiner im Arbeitsschutzgesetz verankerten Pflicht nicht nach, kann sich ggf. ein Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz nach § 15 AGG ergeben. Hier gibt es jedoch eine Frist von zwei Monaten ab dem Tag der Tat. So lange hat der Arbeitgeber Zeit, eine Lösung zu finden.
Eine weitere Möglichkeit ist, externe Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” können Sie unter der Nummer 0800 0116016 erreichen, die Hilfe- und Beratungsstelle der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter der Nummer 030 185551865.
Welche Strafen sind für den Täter möglich?
Sexuelle Belästigung kann, wenn der Arbeitgeber seine Aufgabe ernst nimmt und konsequent vorgeht, ernste Folgen für den Täter haben. Zunächst erhält er eine Abmahnung. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann eine fristlose Kündigung nach sich ziehen, wenn nach der Abmahnung das unangemessene Verhalten weiter bestehen bleibt. Das sind jedoch nur die arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Darüber hinaus kann die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz der Rechtslage nach strafrechtlich verfolgt werden. Doch wann ist der Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt?
Im § 184i Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) heißt es:
“Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist laut StGB § 184i Absatz 3 ein sogenanntes Antragsdelikt. Das heißt, dass Opfer für eine strafrechtliche Verfolgung eine Anzeige erstatten müssen. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, alle belästigenden Vorfälle sorgfältig zu dokumentieren. Im Leitfaden “Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?” der Antidiskriminierungsstelle des Bundes finden Sie eine Vorlage zur Dokumentation einer Beschwerde nach AGG § 13.
Strafenkatalog | |
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Sexuelle Belästigung | Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 2 Jahre |
... in besonders schwerem Falle | Freiheitsstrafe zwischen 3 Monaten bis zu 5 Jahren |